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E M M A N U E L   B O R N S T E I N 

Shelter

20. April – 17. Juni 2023

Öffnungszeiten

Di–Fr, 11 Uhr–18 Uhr

Sa, 11 Uhr–15 Uhr

Getreidemarkt 14

1010 Wien

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Wir freuen uns sehr, Sie auf die neue Ausstellung des deutsch-französischen Künstlers Emmanuel Bornstein in unserer Wiener Galerie aufmerksam machen zu dürfen. Unter dem Titel „Shelter“ präsentiert er zwei neue Werkserien, die auf unterschiedliche Weise dem menschlichen Bedürfnis nach Zuflucht und Geborgenheit nachspüren.

 

Man fühlt eine Gefahr in den Bildern. Aber sie hat keine eigene Gestalt. Sie wirkt zwischen den Dingen, in Bildwelten, die aus Überresten, Einzelheiten, Überlagerungen und Durchblicken bestehen. Sie ist in den Gesichtern ablesbar und in der zusammengekauerten Körperhaltung der Figuren, im Klammern eines Mädchens an ihren Hund und im Sog der Mobiltelefone, die als Anker ausgeworfen werden. Sie findet sich in den satten, zerrissenen Farbräumen, den tiefen Rottönen und flammenden Wällen des undurchdringlichen Orange, Erweiterungen der Innenwelten, vielleicht der Dargestellten, vielleicht auch des Malers, Trittbretter auch für die Betrachter, in der Isolation der Figuren und in ihrer gespenstischen Durchsichtigkeit.

 

1961 wurde Carmen Bornstein-Siedlecki, die Großmutter von Emmanuel Bornstein, mit der französischen Légion d’honneur für ihre Verdienste im französischen Widerstand ausgezeichnet. Ihr damaliger Kommandant in der Résistance, Jean Gay, beendete seinen Brief an Mme. Bornstein-Siedlecki mit den Worten: „... Hunderte Tausende anderer Patrioten sind gestorben, um all den kleinen Henris und Henriettes Frankreichs und der Welt das Brot des Lebens und den Geist und die Blumen in all ihren Heimen zu sichern.“ Das Symbol der Blumen taucht hier auf als Zeichen eines Zuhauses, eines Ortes, der in erster Linie psychologischer Natur ist.

 

Die Ausstellung Shelter versammelt nun zwei Werkserien des deutsch-französischen Malers Emmanuel Bornstein, die Shelter-Serie und die Pensée-Bilder. Beide speisen sich aus vielfältigen Quellen, die in die Vergangenheit zurückreichen, aber letztlich einer heutigen Dringlichkeit unterworfen sind und Vergangenes mit Gegenwärtigem verschränken. Da ist der Brief an die Großmutter, der die Inspiration zu den kleinformatigen „Pensées“ gab, in zweifacher, doppeldeutiger Hinsicht, steht doch das französische Wort „Pensée“ sowohl für Gedanke, also Erinnerung, als auch für eine Blume, was beides aus den Bildern gelesen werden kann. Da sind andererseits eigene Aufnahmen von heute, Selbstbetrachtungen und Portraits der Mutter. Da ist aber auch die Kunstgeschichte mit ihren Kriegs- und Fluchtdarstellungen, und da sind die Fotos von Geflüchteten, die in U-Bahntunneln Schutz suchen.

 

Aus der Intimität einer persönlichen Bildsprache heraus entwickelt sich in Bornsteins Arbeiten eine Art Archäologie um den Begriff der Zuflucht herum. Bei seinen Bildgrabungen kommen verschiedene Schichtungen zutage, das Kollektive und das Persönliche treffen aufeinander, eine innere Gefühlswelt verzahnt sich mit Äußerlichkeiten. Palimpsesten gleich ist den Bildern nicht nur eine Geschichte abzulesen, sondern mehrere, gestützt nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form.

 

So sind in jedem der Shelter-Bilder die Spuren abgelagert, die Bornstein in der Welt gefunden und verarbeitet hat und die sich jetzt den Betrachtern darlegen. Die Welt ist eine brüchige in den Bildern, in Fetzen stoßen expressiv gestische Farbflächen gegeneinander, ragen aus der Tiefe hervor oder in sie hinein, wie züngelnde Flammen. Die Figuren von Menschen, ob einzeln oder in Gruppen, sind gläsern, durchsetzt von der Toxizität des kadmiumgelben Bildgrundes. Aber jedes Bild hat seinen Anker. Das kann ein Augenpaar sein, dessen starrer Blick den Betrachter festsetzt; das kann ein grell-weißes Lichteck sein, das im Rücken einer Figur das Versprechen eines Endes aufrechterhält, sei es ein tragisches oder ein glückliches. Um diese Anker herum, blitzende Fixpunkte, die sich aus den Wirren herausschälen, organisiert sich die Ausgrabung. Die Malerei wird dabei als Medium aktiv, indem sie nicht nur der Abbildung wegen verwendet wird, sondern produktiv wirkt. Die Untersuchung verläuft nicht über sondern durch die Farbe.

 

Farbe, Form und Geste nehmen kathartische Züge an, wenn sich Farben aufdrängen, kaltgrüne Eisschollen durch den Bildraum treiben, ein Türkis aufstößt und aus den Fransen einer Kante neue Formen herauswachsen. Die Bilder müssen der Leinwand entrungen werden, in einem Kampf, der gleichzeitig Mittel und Ziel ist.

 

In den Shelter-Bildern ist das Verhältnis von Figur und Grund noch umfochten. Als Teil der Welt finden die Figuren dennoch keinen richtigen Halt. Ihre Konturen wirken abwehrend, können sich aber nicht behaupten gegen die überschwappenden Einflüsse. Mit den Pensée-Bildern ist dieser Konflikt entschärft. Der Blick ist den Gedanken und Blumen auf den Grund gegangen, bis Grenzen unsichtbar werden. Es ist kein Ding-Sehen mehr, sondern ein Bild-Fühlen.

 

Emmanuel Bornstein wurde 1986 in Toulouse, Frankreich geboren und lebt seit 2009 in Berlin. Er studierte Malerei an der École Nationale Supérieure des Beaux-arts de Paris und an der Universität der Künste in Berlin. Seine Arbeit ist geprägt von der Faszination des Figurativen und der Beschäftigung mit persönlichen oder literarischen Bezügen. Bornsteins Werke wurden in zahlreichen institutionellen Ausstellungen gezeigt und befinden sich in vielen renommierten Kunstsammlungen, unter anderem der Fondation Louis Vuitton, des Elgiz Museum, der Kunsthalle Rostock und der Christen Sveaas Art Foundation.

 

Text: Victor Cos Ortega

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