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N I K O L A U S   G A N S T E R E R     

Strange Wor(l)ds

21. Januar – 4. März 2023

Öffnungszeiten

Di–Sa, 11 Uhr–18 Uhr

Fasanenstrasse 29

10719 Berlin

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Wir freuen uns sehr, Sie auf die Ausstellung „Strange Wor(l)ds“ des österreichischen Künstlers Nikolaus Gansterer in unserer Berliner Galerie aufmerksam machen zu dürfen. Gezeigt wird ein umfassender Werkkomplex von rund 40 Arbeiten, in denen Gansterer Gedanken, Traktate und Thesen des Philosophen Ludwig Wittgenstein auf verschiedenste Weise visualisiert.

 

In den letzten 15 Jahren ist eine lose Gruppe teils vernetzter, teils unabhängig voneinander agierender Künstlerinnen und Künstler entstanden, die das Zeichnen neu definiert und vom Papier „befreit“ haben. Nikolaus Gansterer ist einer von Ihnen, und er bedient sich so ziemlich aller Mittel und Techniken, die das „Neue Zeichnen“ ausmachen: Mit filigranen Mobiles und Holzgeflechten erweitert er die Zeichnung in den Raum und dehnt sie ins Dreidimensionale aus. Mit performativen Aktionen macht er den zeichnerischen Akt erlebbar und lässt den Betrachter an dessen intuitiver Urkraft teilhaben. Mit installativen Anordnungen unterschiedlichster Materialien verknüpft er Linie und Skulptur. Und in großen, akribisch zusammengestellten Schaukästen „zeichnet“ er mit zufällig gefundenen oder bewusst gesammelten Gegenständen, Abfall, Papierschnipsel – und lässt Papier, Stift und Feder hinter sich.

 

Was Gansterers Arbeit aber vor allem prägt und von anderen unterscheidet, ist der inhaltliche Aspekt, den er ins Formale transformiert: In allen seinen Arbeiten nimmt er Bezug auf Naturwissenschaft, Philosophie, Literatur, Poesie oder eigenen Erkenntnisgewinn. Allen Werken liegen theoretische Abhandlungen, wissenschaftliche Texte, experimentelle Gedichte, bekannte oder vergessene Romane, fremde oder eigene Einlassungen über den Zustand der Welt zugrunde. Sie überträgt er ins Bildliche. Ihnen gibt er Gestalt.

 

In der Ausstellung „Strange Wor(l)ds“ versammelt Gansterer nun über 40 Arbeiten, in denen er sich mit dem Essayband „Philosophical Investigations“ (1953) des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein auseinandersetzt. Wie stets in seinem von akribischer Recherche und spielerischer Leichtigkeit gleichsam geprägten Schaffen, übersetzt er Wittgensteins Gedanken und Thesen zum komplexen Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit mit vielfältigen Techniken, Methoden und Produktionsweisen in feingliedrige, fragile Bildwelten, wobei er in diesem Fall auch häufig auf die klassische Zeichnung zurückgreift. Mal liegen den Arbeiten nur einzelne, kurze Sätze aus den Wittgenstein-Investigationen zugrunde, mal ganze Seiten, mal komplette Kapitel. Mal greift Gansterer Randaspekte auf, mal Kernthesen, mal beides.

 

Dabei darf das Wort „Übersetzen“ in Gansterers Kunstpraxis nicht missverstanden bzw. als dienende Geste des Nachempfindens begriffen werden. Wenn er die Wittgensteinschen Texte ins Bildliche „übersetzt“, „überträgt“ und „transformiert“, geschieht dies nicht im Sinne einer Illustration. Mit seinen Zeichnungen, Collagen und Performances erweitert er sie vielmehr, deutet sie, entgrenzt sie, gibt ihnen eine neue Dimension, einen neuen Aggregatszustand, eine neue Rezeptionsebene.

 

Gansterer betont daher zu Recht, dass es ihm – nicht nur beim Wittgenstein-Projekt – um den subtilen, ephemeren, fluiden Prozess geht, der seiner künstlerischen Produktionspraxis zugrunde liegt.

 

Wenn er sich ans Zeichnen macht, wenn er ins Atelier geht oder eine Performance startet, wenn er damit beginnt, eine theoretische, wissenschaftliche oder gedankliche Quelle in ein bildliches Werk zu übersetzen, lässt er sich völlig auf diese Quelle ein, nimmt sie wie in Trance auf und reagiert nur noch darauf. Er schaltet das rein rationale Bewusstsein aus. Er transformiert den Text, die These, die Abhandlung aus tiefster Intuition ins Visuelle. Während er ihn liest. Während er ihn hört. Die Kraft des Textes, der These, der Abhandlung zeichnet durch ihn, nicht er zeichnet sie.

 

Auf diese Weise berührt Gansterers Arbeit nicht nur Wittgensteins philosophisches Vermächtnis, mit dem er sich in „Strange Wor(l)ds“ unmittelbar auseinandersetzt, sondern auch das von Jacques Derrida und Jean Baudrillard. Mit seiner ins Unter- und Nicht-Bewusste führenden Herangehensweise und den daraus erwachsenden Werken stellt er die Gültigkeit von Thesen und Realitäten in Frage und untermauert sie gleichzeitig im Sinn des Poststrukturalismus. Allem, so wollen es uns seine Zeichnungen, Performances, Schaubilder, Mobiles und Installationen sagen, wohnt ein fluider, sich ständig wandelnder Prozess inne, alles entzieht sich der Festlegung, alles verflüchtigt sich, nichts gilt mehr, nichts kann mehr gelten. Die Festlegung, die Gültigkeit kann nur in der Akzeptanz des Sich-Entziehens, des Sich-Verflüchtigens, des Einerseits-So-Andererseits-Anders liegen. Oder eben in ihrer Sichtbarmachung, wie sie Gansterer in seiner prozesshaft-intuitiven Kunst so subtil und gleichzeitig so konsequent gelingt. In der Manifestation des Nicht-Manifesten also. In der Materialisierung des Nicht-Materiellen. In der klaren Gestalt des Verschwommenen.

 

Für seinen Wittgenstein-Werkkomplex hat Nikolaus Gansterer drei Jahre lang eng mit dem Philosophen Klaus Speidel zusammengearbeitet. Dabei ist auch ihr gemeinsames Buch „Playing with Ludwig“ entstanden, das nun anlässlich der Ausstellung „Strange Wor(l)ds“ erscheint.

 

Nikolaus Gansterer wurde 1974 in Klosterneuburg in Niederösterreich geboren und lebt in Wien. Er studierte an der Universität für angewandte Kunst bei Brigitte Kowanz in Wien und an der Jan van Eyck Academie in Maastricht. Gansterer kann auf eine Vielzahl von institutionellen Einzelausstellungen und Teilnahmen an Biennalen und Überblicksausstellungen zum „Neuen Zeichnen“ zurückblicken, unter anderem im Drawing Lab, Paris, in der Villa Arson, Nizza, im Wiels Contemporary Art Centre, Brüssel, in der FRAC Normandie, Rouen, im BAC Art Center, Shanghai, im Marta Herford, im SMAK, Gent, in der Albertina, Wien, im Drawing Center, New York, im ICA London, bei der Athen Biennale, der Havanna Biennale, der Venedig Biennale und der Sharjah Biennale. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem MAC Art Award, Belfast, und leitet an der Universität für angewandte Kunst in Wien als Gastprofessor das Forschungsprojekt „Contigent Agencies“.

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