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V I C T O R I A   P I D U S T  

V O L O   B E V Z A

Lossy

19. Januar  – 23. März 2024

Öffnungszeiten

Di. – Fr., 11 – 18 Uhr

Getreidemarkt 14

1010 Wien

Text: Christina Lehnert

Wir freuen uns sehr, Sie auf die Ausstellung „Lossy“ des jungen ukrainischen Künstler- Paars Volo Bevza und Victoria Pidust in unserer Wiener Galerie aufmerksam machen zu dürfen. Zentrales Thema der gezeigten Arbeiten ist der Verlust und die Wiedererlangung von visueller Authentizität in einer Welt, in der Bilder systematisch manipuliert werden und manipulieren.


Wir befinden uns zwischen zwei Polen: Einerseits der Allgegenwart von Bildern und ihrer Zirkulation. Informationen sind nicht mehr nur über Nachrichten-agenturen und klassische Medien zugänglich. Potentiell ist heute jede Person eine Nachrichtenquelle mit Reichweite, indem sie Texte oder Bilder über Netzwerke wie Instagram, Telegram oder X verbreitet.


Andererseits sind wir dadurch mit ständiger Manipulation und bewusster Desinformation konfrontiert. Politisch motivierte Kampagnen bedienen sich zweier unterschiedlicher Methoden, die auf dasselbe hinauslaufen: Zum einen werden verfälschte Bilder und Informationen als authentisches Material in Umlauf gebracht, zum anderen werden authentische Inhalte als „Fake“ verunglimpft und infrage gestellt. Gleichzeitig werden Kommunikationsdienste verboten oder unterbunden, was bewusst einen Mangel oder eine Verschiebung von Informationen erzeugt. Darüber hinaus scheinen Bilder nicht mehr bestätigen zu können, was war, da Photoshop längst von KI überholt wurde und es vielleicht anderer Diskurse über Ikonographie und Medienethik bedarf.


Die beiden aus der Ukraine stammenden Künstler Victoria Pidust und Volo Bevza beschäftigen sich auf fotografische, malerische und digitale Weise mit den mannigfaltigen Dilemmas, die sich aus dieser omnipräsenten „Manifestation des Ungewissen“ ergeben.


Gerade in Zeiten des Krieges sind Bilder ein vielgenutztes Instrument der politischen Propaganda. Der „Krieg der Bilder“ und die „Macht der Bilder“ wurden uns nicht zum ersten Mal, aber vielleicht am deutlichsten am 11. September 2001 vor Augen geführt. Unzählige Kunstwerke wie Gerhard Richters „War Cuts“ oder Hans Peter Feldmanns „9/12 Frontpage“ haben sich mit der brachialen Wucht der Bilder in den Medien auseinandergesetzt. Bereits 1985 beschäftigte sich Martha Rosler in ihrer Arbeit „If it’s too bad to be true it could be DISINFORMATION“ mit dem Thema der Medienberichterstattung und der politischen Kampagne. Das Video, in dem gesprochene Nachrichtenausschnitte und verzerrte Bilder neu gemischt werden, zeigt die irreführenden Phrasen auf, die in den Nachrichten verwendet werden. Durch die bewusste Verfremdung von Sprache und Bild, die durch technische Störungen hervorgerufen wird, zerlegt Rosler den Fluss der Massenmedien und stellt die Frage nach der Objektivität der Berichterstattung.


Pidust und Bevza reihen sich in diese künstlerischen Auseinandersetzungen mit der medialen Trans- und Deformation von Wirklichkeit anhand eines aktuellen Gewaltexzesses ein, der sie ganz persönlich betrifft: Sie beschäftigen sich in ihren neuen Werkserien sowohl mit dem Krieg in der Ukraine und den Spuren, die er hinterlässt, als auch mit den Bildern, die von ihm entstehen und in den Medien verbreitet werden.


Der Titel ihrer Ausstellung „Lossy“ (dt. verlustreich) bezieht sich auf den Begriff „Lossnessness“ (dt. „Verlustfreiheit“). Er stammt aus einem gleichnamigen Text des Künstlers Ed Atkins, in dem er über das Prinzip des Verlustes (engl. loss) bei der Verarbeitung und Komprimierung digitaler, insbesondere bildlicher Daten nachdenkt. Störungen (Glitches) in Bild-Dateien entstehen häufig durch die verlustbehaftete Wiedergabe komprimierter Bildinformationen.


Pidust und Bevza arbeiten mit diesen Übertragungsfehlern in digitalen Bildbearbeitungsprogrammen und nutzen sie als kreatives Moment. Ihre Bilder sind „lossy“ und entstehen im Moment des Verlustes. Sie verwenden die Technik der Photogrammetrie als Mittel, um aus oft eigenen Fotografien eine digitale dreidimensionale Darstellung des fotografierten Objekts zu erzeugen. Dabei kalkulieren sie die Fehlbarkeit digitaler Systeme mit ein, so dass der „Verlust“ zum bildgebenden Instrument wird.


Victoria Pidust nennt eine ihrer Werkserien „Irpin Bridge" (2023). Es sind photogrammetrisch erzeugte Bilder von realen Aufnahmen der zerstörten Brücke der Stadt Irpin. Die „als Symbol des Krieges“ bekannte Brücke wurde gesprengt, um das Vorrücken der russischen Truppen nach Kyjiw zu stoppen, gleichzeitig wurden dadurch die Bewohner*innen in der angegriffenen Stadt eingeschlossen. So standen die Bilder aus Irpin stellvertretend für das Leid der ukrainischen Zivilist*innen.


In einer weiteren Serie sind mit einem iPhone aufgenommene, vergrößerte Ausschnitte von verlassenen, zerstörten Autowracks zu sehen, die Pidust vor Ort in den Städten Irpin und Butscha aufgenommen hat. Die überdimensionalen, teilweise raumgreifenden Arbeiten zeigen den Zerfall und die irritierende Schönheit des Ruinösen, losgelöst von seiner Ursache. „No-Distance“ ist eine weitere Serie der Künstlerin, die sie analog fotografiert. Indem sie Objekte aus einem geringen Abstand aufnimmt, schwindet die Realität. Das fotografierte Objekt bleibt, ist aber auf analogem Weg verschwommen, verzerrt und unkenntlich festgehalten.


Die Arbeiten von Volo Bevza haben keine Titel und erinnern an abstrakte, gestische Malerei. Sie kommen in einem mehrstufigen Prozess zustande, an dessen Anfang ebenfalls photogrammetrisch generierte und digital bearbeitete Bildelemente stehen. Die Techniken, die Bevza anwendet, sind sowohl digital als auch malerisch manuell. Sie schaffen etwas Neues und referieren doch auf die Realität der Gegenwart. Aus den Bildern lassen sich zerstörte Häuser, Brücken oder Tote erahnen, ohne dass Bevza sie direkt darstellt. Aus Avataren, die der Künstler animiert und in die Bilder integriert, erschafft unser Bildgedächtnis mögliche Darstellungen der Opfer des Krieges. Authentische Fotos, digital verfremdete Bildelemente, computergenerierte Renderings, gestische Malerei - alles verbindet sich zu einem Amalgam.


Pidust und Bevza gelingt es, die Bilder des Krieges zu abstrahieren, diese Abstraktion aber mit ihren ursprünglichen Darstellungen so zu verschmelzen, dass sie zu einem neuen Bild werden. In ihrer Surrealität - als Vergrößerung, Übermalung und Manipulation - werden diese Bilder zum Sinnbild für das brutale Chaos der Gegenwart.


Pidust und Bevza arbeiten mit dem Prinzip der Übertragung von Techniken in Bedeutungsebenen: Der Verlust in Bildern wird zum bildgebenden Prinzip, Ausschnitte stehen als pars pro toto für die Auseinandersetzung mit dem Krieg im eigenen Land und dem Umgang mit seinen Bildern.


Immer wieder werden wir daran erinnert, wie sich unser eigenes Bildgedächtnis bildet und wie wir trotz „Verlust“ von Bildinformationen in der Lage sind, Bilder und ihre Ereignisse in den Arbeiten von Pidust und Bevza wiederzuerkennen. Die Werke oszillieren zwischen Abstraktion, Abbildungsillusion und Abbild. Dieses Erkennen ist ein Prozess, den die beiden Künstler in den Werken und ihrer Entstehung aus Fotografie, Malerei und digitaler Bearbeitung verankert haben.


Die Verarbeitung der Bildpolitiken, gerade wenn es die Betrachtung der eigenen Heimat betrifft, ist ein wichtiges Mittel, um vor Augen zu führen, dass hinter den Medien und der Berichterstattung das menschliche Bedürfnis steckt, sich den Unfassbarkeiten zu stellen, um mit der Gegenwart umgehen - sie bearbeiten - zu können.


Victoria Pidust wurde 1992 in Nikopol geboren, Volo Bevza 1993 in Kyjiw, jeweils Ukraine. Sie haben an der Kunsthochschule Weißensee studiert, leben in Berlin und haben in den letzten Jahren an zahlreichen internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen teilgenommen, u.a. in Berlin, Köln, Düsseldorf, Leipzig, München, Wien, Linz, Kyjiw, Barcelona, Istanbul, Liverpool, London und Paris. Volo Bevza wurde 2023 mit dem Kunstpreis „Artwork of the Year“ der VHV-Stiftung ausgezeichnet, Victoria Pidust 2020 mit dem Mart Stam Preis.


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