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H A M L E T   L A V A S T I D A

Internal Order

10. November  – 23. Dezember 2023

Öffnungszeiten

Di. – Fr., 11 – 18 Uhr

Getreidemarkt 14

1010 Wien

Wir freuen uns sehr, die erste Einzelausstellung des kubanischen Künstlers Hamlet Lavastida in unserer Wiener Galerie ankündigen zu dürfen. Unter dem Titel „Internal Order“ zeigt er großformatige Wandinstallationen, feingliedrige Scherenschnitte und eine Videoarbeit, in denen er sich mit den Repressionsmethoden totalitärer Staaten und den Auflehnungsstrategien oppositioneller Friedens- und Freiheitsbewegungen auseinandersetzt.


Auf der Suche nach Zeichen, in denen sich die unterdrückerischen Mechanismen eines totalitären Staats offenbaren, versammelt Lavastida in einem Archiv „ästhetischen Ungehorsam“. Akribisch trägt er Bilder, Symbole und Schlagworte zusammen, um die Ikonografie der kubanischen Revolution zu dokumentieren und zu entlarven. Durch Rekontextualisierung, Gegenüberstellung, Reenactments und nicht zuletzt das bloße Ausstellen stereotyper Propagandabilder wird deren Wirkung untergraben und eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte - und Geschichtserzählung - in Gang gesetzt.


Lange konnte die Kommunistische Partei Kubas (PCC) durch ihre Propagandamaschinerie den öffentlichen Diskurs im Land weitestgehend uneingeschränkt beherrschen. Ohne reichweitenstarke Plattformen waren regimekritische Stimmen, so sie sich denn überhaupt in einer Atmosphäre, die von Furcht vor Repressionen, öffentlicher Demütigung, Haft und Folter geprägt war, zu manifestieren getrauten, fast vollkommen isoliert. Neben Fernsehen, Radio und Presse diente auch die Kunst den Narrativen der Partei. Kunstschaffende standen vor der Wahl zwischen Parteiloyalität oder Marginalisierung. Entweder wurden sie als offiziell registrierte Künstler*innen gefördert, oder, wenn das Ministerium für Kultur eine Position als "antirevolutionär" erachtete, systematisch der Ausstellungsmöglichkeiten beraubt, medial diffamiert oder inhaftiert.


Angesichts des wirtschaftlichen Drucks, der sich in Folge verschärfter Sanktionen und eines destabilisierten venezolanischen Partners aufgebaut hatte, öffnete Kuba 2018 das Internet für mobile Geräte auf der Insel. Zwar unterliegt auch das Netz des staatlichen Telekommunikationsunternehmens ETECSA der Zensur, aber dennoch konnte sich in den letzten Jahren eine von der PCC unabhängige Presse etablieren und eine kritische Opposition über die sozialen Netzwerke formieren. Dies ermöglichte im Jahr 2021 die größten Proteste auf der Insel seit 30 Jahren.


Die Kehrseite dieser Entwicklungen sind hunderte politische Gefangene. Weiterhin hält die Angst vor drakonischen Strafen eine Kultur der ständigen Selbstzensur aufrecht. In Konsequenz einer mittlerweile zu großen Teilen an das Internet angeschlossenen Bevölkerung, darunter eine Künstler*innenschaft, der sich nun eine Alternative zu marginalisierter Unabhängigkeit oder Staatskünstlertum bot, wurde 2018/19 mit den Dekreten 349 und 370 die Meinungs- und Kunstfreiheit weiter beschnitten. Neben den Gesetzen an sich ist es dabei vor allem die Offenheit, mit der sie formuliert sind, die aus Kuba ein einziges großes Gefängnis macht, mit Mauern, deren Fundamente nicht aus Stein, sondern aus Zweifeln gebaut sind, und Häftlingen, die sich selbstständig (aber nicht von sich aus) disziplinieren. Wer sich dieser Ordnung nicht fügt, läuft Gefahr sich in einem echten Gefängnis wiederzufinden, nicht mehr allein vor dem eigenen Kalkül, sondern vor den Inquisitoren des Staates. Für Hamlet Lavastida ist deshalb das kulturelle Klima Kubas durch eine Eigenart des Bentham'schen Panoptikons gekennzeichnet: Vorbeugung - profilaxis - als disziplinierende Kraft.


Die Motive, die Lavastida in seinen Scherenschnitten zusammengetragen hat, dienen alle in der ein oder anderen Weise dieser Kultur der Prävention. Neben relativ eindeutigen Motiven, wie der Darstellung bewaffneter Militärs, sind die Bildinhalte oftmals chiffriert. Immer aber stecken hinter den Logos, Akronymen, Sprüchen und Zahlenkombinationen Verweise auf Manifestationen von Gewalt. Sie sind der Propaganda des staatlichen Sicherheits- und Medienapparats entnommen oder greifen die öffentliche Diskreditierung von Personen auf. Es ist zu betonen, dass hier immer durch den Staat gesprochen wird, mit der Sprache des Regimes. In der Aneignung dieser zeigt es sein Gesicht.


Innerhalb dieses durch investigativ-archäologische Methoden zusammengetragenen Korpus kommt der Sammlung von Grundrissen kubanischer Strafanstalten in Lavastidas Archiv ein besonderer Stellenwert zu. Schon länger waren sie in seinem Werk präsent, doch als er 2021 in Folge seines Engagements von der Staatssicherheit festgesetzt und über Monate im Gefängnis Villa Marista gefangen gehalten wurde, holte ihn die Arbeit gewissermaßen ein. Nicht nur transportieren die grafischen Darstellungen der Haftanstalten solcherlei Einzelschicksale, sie stehen auch exemplarisch für die teleologische Ausrichtung einer indoktrinierten Geisteshaltung, die auf eine rigide, aller Freiheit beraubten und intransparenten Ordnung ausgerichtet ist. In ihnen kulminiert die prophylaktische Kultur. Obwohl im Diskurs weitgehend unsichtbar und die Gefangenen der Sichtbarkeit entziehend, sind sie die Schablonen, von denen sich der "Homo Paenitentis" ableitet.


Letztlich sind alle Gefängnisse, Häftlinge und Gesetztestexte nicht nur Ausdruck eines oppressiven Regimes, sondern immer auch einer Erwartung von Widerstand. Gerade in dieser Erwartung aber liegt, um mit den Worten von Iván de la Nuez zu schließen, auch der Keim seines Untergangs.


Hamlet Lavastida wurde 1983 in Havanna geboren und zählt zu den bekanntesten Vertretern einer neuen, jungen Künstlergeneration in Kuba, die sich offen gegen das kommunistische Regime stellt. Nach seiner Teilnahme an Protesten der Demokratiebewegung „27-N“ und einer Haft in Havannas berüchtigstem Foltergefängnis Villa Marista, lebt er seit Anfang 2022 im Zwangsexil in Berlin. Im vergangenen Jahr nahm er unter anderem an der documenta in Kassel und einer umfassenden Überblicksausstellung lateinamerikanischer Kunst im Museo Reina Sofia in Madrid teil. Aktuell werden seine Arbeiten gerade im Albertinum Dresden und auf der Kyiv Biennale im Wiener Augarten gezeigt (wohin diese wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine teilweise ausgelagert werden musste).

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