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H U D A   T A K R I T I

Clarity Is The Closest Wound To The Sun

22. Juni  – 25. August 2023

Öffnungszeiten

31. Juli – 15. August 2023

nur nach Vereinbahrung

Getreidemarkt 14

1010 Wien

Wir freuen uns sehr, die erste Einzelausstellung der syrischen Künstlerin Huda Takriti in unserer Wiener Galerie ankündigen zu dürfen. Unter dem Titel „Clarity Is The Closest Wound To The Sun” werden fünf Werkkomplexe gezeigt, die sich mit der Geschichte des Kolonialismus und ihrer Rezeption in westlichen Archiven und im Internet beschäftigen.


–Huda Takriti, Clarity Is The Closest Wound To The Sun

Between memory and opacity: (post)colonial archives and mediated images.


Der „Einstieg“ in die Ausstellung wirkt vermutlich vertraut: das Postkartenmotiv einer Landschaft mit Palmen, stark vergrößert und wie eine Tapete an die Wand affichiert. Das wandfüllende Bild verweist auf die Mode der exotisierenden Interieurs, die sich vermutlich bis in die frühe Kolonialzeit zurückverfolgen lässt und auch in der Gegenwart immer wieder aufblitzt. Hier ist das Motiv jedoch nicht nur Kulisse, sondern rahmt die erste Fotografie von Huda Takritis Serie Against Nostalgia. In neun Fotografien verarbeitet die Künstlerin eine Sammlung von Postkarten mit orientalistischen Ansichten Algeriens, die sie im Zuge ihrer Recherche gefunden und auf Ebay ersteigert hat. Sie sind Marker einer postkolonialen Nostalgie für die Kolonialzeit, wie sie auf Instagram und in den Facebook-Accounts der Pieds-Noirs, der ehemaligen französischen Siedler*innen in Algerien, die nach der Unabhängigkeitserklärung des Landes zu großen Teilen wieder zurück nach Frankreich gingen, gehandelt werden.


Darstellungen der „ehemaligen Heimat“ – teilweise mit nostalgischen Titeln wie „Szenen aus dem Orient“ oder „Zurück nach Algerien“ – wechseln sich mit exotisierenden und sexualisierten Darstellungen von Frauen ab, die in Fotostudios nachgestellt wurden, um den weißen, europäischen Fantasien der Kolonialist*innen zu entsprechen.


Übersetzt in die Fotoserie werden diese Postkarten Teil eines imaginären Archivs. In den Bildern sind Hände in den weißen Handschuhen des/der Archivar*in zu sehen, die Teile der Postkarten abdecken. Sie bauen eine visuelle Barriere zwischen Motiv und Kamera/Betrachter*innen auf, um die Zugänglichkeit zu erschweren und Fragen nach dem Blick und den Intentionen der Betrachter*innen aufzuwerfen. Wie kann ein kolonialer, exploitativer Blicke durch das Ausstellen des Motivs eben nicht verdoppelt werden? Gleichzeitig sind die weißen Handschuhe die prominente Signatur des Archivs, signalisieren das saubere Aufbewahren von Einzelstücken, deren Wichtigkeit für das kollektive Gedächtnis. Doch sind sie das wirklich? Hier bleiben sie Zeichen einer Performance archivarischer Tätigkeit, denn beinahe alle Archive, die Huda Takriti für diese Recherchen eigentlich benötigen würde, sind für sie im Grunde unzugänglich; aufgrund von Visabeschränkungen, Urheberrechtsfragen oder aufgrund einer kolonialen Vergangenheit, mit der die Institutionen der Gegenwart immer noch nicht umzugehen wissen. So performt die Künstlerin die Funktion des Archivierens durch dieses Alphabet der Gesten der Hände, die ausbreiten, zeigen und gleichzeitig verdecken.


Die Strategien, die Huda Takriti in den Arbeiten der Ausstellung einsetzt, bauen auf Oppositionen auf: Auf der Konfrontation unterschiedlicher Ideologien in Bild-Text- oder Text-Text-Collagen, auf dem Spannungsverhältnis zwischen Verhüllen und Zeigen, auf dem Vergleich zwischen Archivbild und medial transformiertem und bearbeitetem Bild.


So verwendet sie etwa in den Collagen „Fluid Grounds“ Propagandaposter der Organisation de l’armée secrète (OAS), die 1961 gegründet wurde, um die Unabhängigkeit Algeriens zu bekämpfen, und die sich auch gegen den immer liberaler agierenden französischen Staat stellte. Diese Poster werden im Kontext der Facebook-Gruppen gezeigt, in denen auch Videos von der Wiedereroberung Algeriens kursieren, vertont mit dem nationalistischen „Chant des Africains“ der ehemaligen Kolonialmacht. Dem gegenüber stellt Takriti Zitate aus Frantz Fanons Les damnés de la terre / Die Verdammten dieser Erde (1962), die in unheimlicher Voraussicht einige der im Netz kursierender Bilder vorwegnehmen.


“The afterlife of slavery is not only a political and social problem but an aesthetic one as well,” schreibt die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Saidiya Hartman. „Slavery“ lässt sich hier durch „colonialism“ ersetzen.


Auch in Huda Takritis Arbeiten geht es um die Frage der Repräsentation der kolonialen Verbrechen und deren „Rückkehr“, getarnt als Sehnsucht nach der „alten Heimat“ im virtuellen Raum der sozialen Medien. So fragt sie permanent, was gezeigt werden kann und soll, und verleiht den Bildern wie dem Dargestellten ebenfalls die Möglichkeit der Opazität, der Intransparenz, wodurch eben nicht alles gesehen werden kann und soll.


Dies verdichtet sich besonders im Video, das denselben Titel wie die Ausstellung trägt. Bei ihrer Lektüre der Autobiografie Inside the Battle of Algiers von Zohra Drif, einer der weiblichen Freiheitskämpferinnen der FLN (Front de libération nationale / Nationale Befreiungsfront), die zwei Jahre lang den militanten Flügel der Bewegung in der Casbah von Algiers organisierte, stößt Huda Takriti auf einen von der Erzählerin zitierten Aphorismus des Dichters und Freiheitskämpfers der französischen Résistance, René Char. Er ist Teil von Chars Hypnos (in der englischen Übersetzung; Feuillets d’Hypnos im Original), einer Sammlung von Fragmenten, teils Tagebucheintragungen, teils lyrische Reflexionen über das Erlebte.


Hypnos, der Gott des Schlafes, und seine Attribute werden für Takriti im Video zum Sinnbild der kollektiven Amnesie, wenn es um die Verdienste der Frauen im Freiheitskampf geht. Und so verschneidet sie die medialen Bilder – jene von Gillo Pontecorvos berühmtem Film The Battle of Algiers von 1966 und seiner Darstellung der Frauen als devote Befehlsempfängerinnen – mit Archivaufnahmen, die eine andere Geschichte erzählen, sowie mit Chars poetischen Texten.


Mit dem Video und den weiteren Elementen der Ausstellung erzeugt die Künstlerin einen Resonanzraum, in dem es um die Verschränkung zeitlicher Ebenen geht, “where the past, the present and the future, are not discrete and cut off from one another (…),” um noch einmal mit Hartman zu sprechen. Es gilt, sich darin zu verorten und vielleicht mit René Char zu fragen: „Are we doomed just to be at the beginning of the truth? / Sind wir dazu verdammt, nur am Anfang der Wahrheit zu stehen?“


Claudia Slanar

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