top of page

ROBERT MUNTEAN

The Ecstatic Static

25. Juni – 20. August 2021

Öffnungszeiten

Di–Fr, 12 Uhr–18 Uhr

Sa, 11 Uhr–15 Uhr

_DSC0006U8.jpg

Wir freuen uns sehr, die Einzelausstellung “The Ecstatic Static” von Robert Muntean in unserer Berliner Galerie präsentieren zu dürfen. Zu sehen sind 22 meist großformatige Malereien, in denen der Künstler eine Verdichtung seiner bisherigen Arbeiten unternimmt und den Körper als äußere Hülle bzw. Chiffre von Emotion begreift.

 

Muntean wurde 1982 in Leoben, Österreich, geboren und lebt seit 2008 in Berlin. Seit seinem Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien und Leipzig entwickelte er eine eigenwillige malerische Handschrift, die zwischen Abstraktion und Figuration oszilliert. Sowohl seine Leinwand- als auch seine Papierarbeiten erwecken auf den ersten Blick den Eindruck einer rein abstrakten, gestischen Malerei. Erst bei genauer Betrachtung entdeckt man darunter figurative Elemente, zumeist Körper und Personen, die häufig Fotografien von Popstars oder Kultfiguren entnommen sind.

 

In Munteans neuer Ausstellung “The Ecstatic Static” treten nun erstmals die Figuren selbst in den Vordergrund. Sie werden zum bestimmenden, sofort erkennbaren Element der Bilder. Der abstrakte, gestische Malduktus ist nach wie vor sichtbar, dient jetzt aber dazu, die Figuren und Körper zu konturieren und zur Geltung zu bringen. Ihre Haltung – ihr Gebeugt-Sein, ihr Aufrecht-Stehen, ihr Sich-Winden – wird zum wesentlichen Ausdrucksmittel, in dem sich Emotion, Angst, Hoffnung, Zuversicht oder Zweifel wiederspiegeln.

 

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen mehrere Werkkomplexe, die das neue Anliegen des Künstlers, die Figur als Metapher für innere Zustände zu begreifen und zu nutzen, auf vielschichtige Weise formulieren und definieren. Neben der Serie “The Ecstatic Static”, die der Ausstellung den Titel gibt, ist dies insbesondere die Reihe “Two Lovers”.

 

„Two Lovers“ – das ist eine existentielle Standard-Situtation oder zumindest ein Sehnsuchtshorizont, auf den die libidinösen Energien der Menschen sich ausrichten wie Eisenfeilspäne. Ob die zwei Liebenden erfülltes Lebensglück symbolisieren oder als Chiffre für eine als unbefriedigend erlebte Mangelsituation dienen, spielt keine Rolle. Sie repräsentieren ein ständig fluktuierendes Energiezentrum, um das vieles andere – Ökonomie, Politik, Intrige, Tod – zirkuliert. Erst im Gravitationsfeld der wechselseitigen Anziehung wird es mit jener Kraft aufgeladen, die zu konstruktivem oder devastierendem Handeln führen kann.

 

Um das Archetypische, das die Two-Lovers-Situation kennzeichnet, herauszupräparieren, greift Robert Muntean auf Fotos zurück, die in der globalen Bilderzirkulation als allgemein bekannt vorausgesetzt werden dürfen. Es sind häufig Darstellungen berühmter (Film-)Paare, die, über ihre Ikonizität hinaus, jeweils metaphorischen Mehrwert in sich tragen: Bei „Two Lovers (1962)“ beispielsweise Romy Schneider und Alain Delon, das emblematische Paar des französischen Kinos, das sowohl im wirklichen Leben wie auch in einer Reihe von Zelluloidarbeiten wie „Christine“, „L`assassinat de Trotsky“ oder „La Piscine“ seine Leidenschaft in unterschiedliche epistemologische Gemengelagen bettet. Eine Leidenschaft, zu groß - oder präziser: in der öffentlichen Wahrnehmung zu sehr vergrößert -, um wahr sein zu können, so dass man sie erst im vom Wissen erleuchteten Rückblick auf den damals noch bevorstehenden Tod von Romy Schneider epochengeschichtlich in ihrer sowohl lumineszenten wie auch katastrophischen Dimension einordnen kann.

 

Eine andere Zweierverkettung, die in der Malerei von Muntean als Bildvorlage in Erscheinung tritt, wird von Elizabeth Taylor und Richard Burton verkörpert, dem Traumpaar all jener, die sich dem Motto „You gotta say yes to another excess“ verschrieben haben. Burton/ Taylor lebten und liebten die emotionale und alkoholische Entgrenzung als öffentliches Dauerschauspiel und gaben der Vorstellung von einer „Gesellschaft des Spektakels“, wie sie von Guy Debord skizziert worden war, einen Spin ins Existentiell-Kathartische, der in der Farben- und Formenverwirbelung von „Inside Richard Burton“ gespiegelt und transzendiert wird.

 

Bei der Arbeit „Atmosphere“ ist der visuelle Vorwurf eine Fotografie des Joy-Division-Sängers Ian Curtis, der in einem, um New Order zu zitieren, ´Bizarre Love Triangle` gefangen war, an Depressionen litt und Drogen konsumierte – hier ist das Gegenüber nicht ein anderer Mensch, sondern die dunkle Seite seiner selbst, die schließlich zu seinem Selbstmord führte.

 

„LJJW“ schließlich – der Bildtitel leitet sich von den Initialen des Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein her – zeigt eine solitäre Figur, die den Blick auf den Boden gerichtet hat und damit ein wenig an das achtziger Jahre Popphänomen „Shoegaze“ erinnert: Bands wie „My Bloody Valentine“, „The Jesus and Mary Chain“ oder „Spacemen 3“ bauten dichte, kompakte, gleichzeitig  aber auch melodiöse Gitarrenwände auf und favorisierten einen Performancesstil, bei dem die statischen Protagonisten ein wenig schüchtern auf ihre Schuhe statt ins Publikum blickten. „Dancing with myself“ könnte man in Anlehnung an Billy Idol sagen: Selbstvergessenheit, die in Selbstverliebtheit kippt. Und die dazu phantasierte´Mirror direction`, der Blick in den Spiegel, macht aus dem Narzissten wiederum ein Paar.

 

Man muss im Zusammenhang mit der Serie „Two Lovers“ die Bedeutung der Figur(en) und des symbolischen Umraumes, der sich mit ihr verbindet, besonders hervorheben, denn Robert Muntean betont, dass sich für ihn seit seiner vorletzten Ausstellung „Sonic Wave“, welche die Übersetzung von Noise in malerische Gesten vollzog, eine ästhetische Verschiebung ereignet hat: „Die Figur ist jetzt eher die Tür hinein in die Arbeit“, sagt der Künstler, „und sie soll auch leichter lesbar sein. Meine Vorstellung ist, dass die Komplexität sich in der Figur oder mit der Figur entfaltet.“ Einer Figur allerdings, die transparent und durchlässig erscheint, umspült vom Meer der Farben – eine fragile Selbstbehauptung in jener transzendentalen Obdachlosigkeit, die unsere Epoche der Instabilität und ständigen Umbrüche kennzeichnet.

 

Während man bei früheren Arbeiten von Robert Muntean den Eindruck gewinnen konnte, dass die Figur sich aus dem abstrakten Farben- und Formengetümmel herausschält, so tritt sie nun – wie eingangs beschrieben – beinahe solitär in den Vordergrund, komponiert mit den Mitteln der Abstraktion und Reduktion. Die kontrastierenden Farbflächen und Linien, die durch die Konturen der als Signifikanten gesetzten Körper begrenzt werden, erwecken die Suggestion des Pastosen, ja geradezu Skulpturalen. Die jeweiligen Haltungen zwischen energischer Tatkraft und Handlungslust, zwischen intensiv inszenierter Zweisamkeit und leicht gebeugter solipsistischer Selbstversenkung künden von Körperspannung oder, im Gegenteil, von kontemplativer emotionaler Entlastung, als wären die Figuren zu Monumenten ihrer selbst und ihrer existentiellen Potentiale hypostasiert worden. Dazu tragen auch andere Neuerungen an den aktuellen Arbeiten von Robert Muntean bei, zum Beispiel, dass sie im Bildaufbau ein zusätzliches Element implementieren: Die noch unbespielte Leinwand wird mit Tape beklebt und auf diese Weise geometrisch gegliedert. Wobei die skizzierten Formen wiederum von Collagen abgezogen werden, die gewissermaßen als Backdrop fungieren und nicht in der Ausstellung zu sehen sind.

 

So ergibt sich ein Ordnungsprinzip, eine Art apriorische Setzung, die im intuitiven Spiel des Pinselduktus wieder dialektisch in Frage gestellt wird. Chaos in die Ordnung bringen – das ist eine jener Programmatiken, die insbesondere der zweiten großen Werkgruppe - “The Ecstatic Static” - ihre spezielle Signatur verleihen.

 

Man könnte, um im Paradigma der vom Künstler gerne bemühten Analogien zu akustischen Pop-Phänomenen zu bleiben, auch von ´Signal to Noise` sprechen, also vom Signal-Rausch-Verhältnis, das immer wieder neuen Versuchsanordnungen unterworfen wird. Ging es jedoch bei der Serie „Sonic Wave“ aus 2018 um das Herausschälen von figurativen Konturen aus einem visuell aufgefassten „Noise-Environment“, so wird das Gestalthafte bei „The Ecstatic Static“ noch zusätzlich mit den Klebe-Applikationen konfrontiert, die wiederum, so Robert Muntean, auf eine mit analogen Mitteln erzielte digitale Formerfindung verweisen: Das sichtbare Tape evoziert das Konstruierte einer am Computer errechneten Formenvielfalt und indiziert eine dahinterliegende virtuelle Struktur des Bildes.

 

Ordnung ins Chaos, Chaos in die Ordnung: Für das binäre Prinzip, aus dem Robert Munteans Malerei ihre Spannung bezieht, lässt sich der Künstler aus den unterschiedlichsten ästhetischen und wissenschaftlichen Sektoren inspirieren. Er bezieht sich beispielsweise auf die Messtechnik, wo er das Verhältnis von Nutzsignal zu Rauschsignal aufgreift und in visuelle Parameter übersetzt. In der Literatur fasziniert ihn der französische Autor Raymond Roussel, der sich mit seinem Roman „Locus Solus“ (1914) auf die Suche nach neuen sprachlichen Formen begibt. Bedeutung lässt sich, so Roussel, nicht festschreiben, sondern strebt nach Variabilität. Das wiederum evoziert Munteans dekonstruktive Maltechnik, die vermeintlich festgelegte Bildinhalte im Akt der gestischen Exaltation auflöst und, bei ständig mutierender Farbpalette, polysemisch in immer wieder neue Gestaltungen überführt.

 

Der von Robert Muntean angestrebte „Dopplereffekt“ lässt sich anhand einer von ihm ins Bild gesetzten „Japanoiserie“ besonders gut darstellen: Das Bild „Merzbow“ ist ein Portrait des gleichnamigen Wall-of- Sound-Musikers aka Masami Akita in action. Muntean hat für diese Arbeit eine spezielle Farbpalette gewählt: Die Figur des Noise-Ästheten selbst erscheint in Tönen zwischen Lila und Orange, von Linien und Farbflüssen so durchzogen, dass eine Perspektive zu entstehen scheint. Durch die Gestalt hindurch öffnet sich ein Raum in die Tiefe – vielleicht wiederum eine Form von digitaler Matrix. Der Hintergrund des Bildes aber erstarrt in kristallinen Kolorierungen zwischen Saphirblau und Zartgrün, die nicht zum farblichen Standardrepertoire von Robert Muntean zählen. Er habe sich intensiv mit Utagawa Hiroshige, dem bedeutenden japanischen Holzschnittmeister am Ende der Edo-Zeit im 19. Jahrhundert auseinandergesetzt, erzählt der Künstler, und sich dabei einige von dessen Farbgebungsprinzipien anverwandelt.

 

„Bei der Merzbow-Arbeit war mir schon bewusst, dass das Pastellige sehr von Hiroshige beeinflusst ist, weil ich seinen Katalog immer wieder durchblättere. Es war aber keine bewusste Entscheidung, seine Farbpalette zu verwenden. Das hat sich bei Merzbow ergeben, und wirkte dann wie eine Initialzündung, die sich bei den anderen Bildern fortsetzte.“

 

Das duale Prinzip, nach dem Robert Muntean vorgeht, stellt sich auf diese Weise noch einmal anders dar: Hier repräsentiert Hiroshige die Ordnung der Dinge, während Merzbow für den Lärm, die akustische Entfesselung, die entgleisende Lärmattacke steht. Durch die farbliche Engführung dieser beiden Prinzipien wird das Chaos der an den Rändern ausfransenden Lärmbänder gebändigt. Die formale Strenge und koloristische Disziplin des japanischen Altmeisters wird dabei nur als halluzinatorische Imagination beschworen. Was in älteren Arbeiten von Robert Muntean sich implizit in der Auseinandersetzung von visuellem Nutzsignal und Rauschen vollzog, wird hier gewissermaßen externalisiert: Erst durch die Implementation eines Anderen ins Eigene - man könnte auch sagen: durch die Infektion mit den Farbvorstellungen eines auf seine Weise autark und autonom wirkenden Geistes - wird die Oberfläche der eigenen künstlerischen Vorstellungen so rücksichtslos durchstoßen, dass ein gewinnbringender künstlerischer Wundbrand entsteht.

 

All diese Annotate zeigen, dass Robert Munteans Kunst in einem ständigen Transformationssprozess begriffen ist, und zwar nicht revolutionär, sondern evolutiv. Es gibt, wenn man die Produktion mehrerer Jahre simultan betrachtet, Wiedererkennbares, aber auch neue Elemente, die - etwa im Sinne des Lacan´schen Objekt klein a - festgefügte Strukturen aufbrechen, ja aufreissen und im günstigsten Fall den Körper elektrisch zu singen vermögen. Oder, wie es Walt Whitman in seinem berühmten Gedicht ausdrückt:

 

„All is a procession,

The universe is a procession with measured and perfect motion.“

 

Thomas Miessgang

English version →

Works on View  

bottom of page